[Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasusländern] Vorwort
Vorwort.
Im Jahre 1864 wurde ich von Sr. Kaiserl. Hoheit dem Großfürsten Michail Nikolajewitsch, damaligem Statthalter des Kaukasus, mit biologisch-geographischen Untersuchungen dieses Gebietes beauftragt. Seit jener Zeit habe ich, falls über mich seitens der Regierung nicht anderweitig disponiert wurde (Kongresse, Ausstellungen, Vorträge), alljährlich Forschungsreisen in den Kaukasusländern gemacht. Alles, was ich an Sammlungen von diesen Expeditionen heimbrachte, wurde seit dem Jahre 1867 im damals gegründeten kaukasischen Museum in systematischer Ordnung aufgestellt, und über die Ergebnisse der Reisen publizierte ich eine Reihe von vorläufigen Berichten, zum Teil auch von durchgearbeiteten, abgeschlossenen Werken. Ihrer Natur nach zerfielen jene Sammlungen in fünf große Gruppen und wurden nach diesen in den entsprechenden Abteilungen des Museums untergebracht, nämlich: 1. geologische, 2. zoologische, 3. botanische, 4. ethnographische und 5. Altertums-Sammlungen. Jeden dieser Zweige habe ich mit gleicher Sorgfalt gepflegt und demnach der Botanik nicht meine ausschließliche Aufmerksamkeit zuwenden können.
Das Herbarium des kaukasischen Museums zählt heute über 3300 bestimmte phanerogame kaukasische Arten (ohne Varietäten und Formen zu rechnen), die in 140 Konvoluten nach Boissier's Flora orientalis geordnet sind. An der systematischen Bearbeitung dieses stattlichen Materials beteiligten sich die Herren v. Ruprecht, v. Regel, v. Trautvetter. Nach deren Tod hatte ich das Glück, in Herrn Eugene Autran, dem Nachfolger Boissier's in Chambesy, bereitwilligste Hilfe zu finden; durch seine Vermittelung beteiligten sich an der Bearbeitung der Gattungen Astragalus, Orobanche, Rosa die Herren Freyn in Prag, Ritter Beck von Managetta in Wien und Crepin in Brüssel. Mit anderen Spezialisten, wie den Herren Focke (Rubus), Schiffner (Helleborus), Klinge (Orchideen), stand ich in direktem Verkehr. Die Ausbeute [Vorwort p. 6:] der letzten Jahre habe ich hier in Tiflis selbst bestimmt und in allen schwierigen Fällen von der Gegenwart Albow's (1895) profitiert. Eben zu dieser Zeit bearbeitete Herr Lamakin die Sammlungen, welche ich aus dem Gau Karabagh (1892) mitbrachte.
Die Grundlage zu den Moossammlungen des Museums legte V. Brotherus; die von mir in den Jahren 189394 gemachte Ausbeute an Kryptogamen wurde ebenfalls durch Vermittelung des Herrn Autran von bekannten Spezialisten bestimmt, und zwar: die Flechten von Prof. J. Müller in Genf, die Moose von Dr. F. Camus in Paris, die Lebermoose von F. Stephani in Leipzig und die Pilze und Schwämme von H. Jaczewski in Montreux und Prof. Magnus in Berlin.
Dies mag genügen, um den Wert der systematischen Bestimmungen mir vorliegenden Materials zu kennzeichnen.
Was nun die Behandlung des Stoffes anbelangt, so habe ich mich bemüht, überall die physikalischen Grundzüge der Natur, wie sie durch Relief und Boden, durch geologische Unterlage und durch die atmosphärischen Agentien auf unserem so weiten Gebiete geboten werden, als Ausgangspunkte meiner Betrachtungen zu benutzen und auf dieser Grundlage die so stark differenzierenden Erscheinungen der kaukasischen Pflanzenwelt zu erklären.
Was die physiognomischen Schilderungen betrifft, so haben wir es in diesem Buche meistens mit Porträtmalerei zu thun, wenn man den Ausdruck gelten lassen will für Kopieen, die direkt nach der Natur an Ort und Stelle niedergeschrieben wurden. Aber keine dieser treuen Nachbildungen kann das Original die Natur auch nur annäherungsweise erreichen. Für die unerschöpflichen Nuancen von Farbe, Form und Lichteffekten reicht die Sprache nicht aus, und was der talentvolle, sachkundige Maler in feiner Fühlung und geschickter Kombination mit Leichtigkeit von der Palette auf die Leinwand fesselnd für das Auge bringt, kann das Wort niemals geben; gleichgiltig, ob wir es mit den großen Dimensionen des Panoramas oder mit der zartesten Miniatur zu thun haben. Ich muss zufrieden sein, wenn meine physiognomischen Schilderungen den Wert schlecht kolorierter Photographieen übersteigen, der Wirklichkeit in der Natur gegenüber sind sie wohl nur Schattenbilder.
Schließlich spreche ich meinen ergebensten Dank außer den obengenannten Herren noch den hiesigen, so H. Medwedew, Stelling, Winogradow-Nikitin, und Herrn Vittorio Sella aus Biella aus. Herr Geheimrat Medwedew hat als Chef der Landesdomänen und Wälder des Kaukasus, wie überhaupt dem Museum stets, so auch dieser Arbeit seine Unterstützung [Vorwort p. 7] reichlich zu teil werden lassen. Herrn Stelling, ehemals Direktor vom physikalischen Observatorium in Tiflis, verdanke ich ergänzendes meteorologisches Material. Herr Winogradow-Nikitin lieferte den Artikel über die Waldverderber und einige forstwirtschaftliche Notizen. Er sowie Herr Konsul Burkhardt in Batum und Herr Margulow, sowie der berühmte italienische Alpinist V. Sella fertigten die Originalphotographieen für die beigegebenen Tafeln an.
Auch erfülle ich nur eine angenehme Pflicht, wenn ich den Herren Professoren Engler in Berlin und Drude in Dresden und dem Herrn Verleger meinen besonderen Dank für die sorgfältige Redaktion, für Berichtigungen und Ergänzungen hiermit sage. Namentlich hat Herr Prof. drude bei der Herstellung der Karten seine reichen Erfahrungen gerade auf diesem Gebiete wieder zur glänzenden Geltung gebracht, wodurch unsere drei Blätter trotz des kleinen Maßstabes an Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig lassen. In der That war die Mühe der Herren um so größer, als sie vom Wohnsitze des Verfassers (Tiflis) weit entfernt leben. Das veranlasste oft eine umständliche Korrespondenz, die um so lästiger sein musste, als die Postverbindung jedesmal, selbst bei ungestörtem Verkehr, 912 Tage für je eine Sendung beanspruchte und der vom Autor durchgesehene Satz erst nach Monatsfrist wieder in die Redaktion gelangte. Schon vor dem Beginn der Drucklegung hat Herr Prof. Engler das zweckmäßige Arrangement des Textes und die Anordnung der Pflanzenverzeichnisse besorgt.
Der zeitigere Abschluss des Werkes wurde durch die herrliche Reise in die asiatischen Tropen auf der Yacht »Tamara« mit Ihren Kaiserl. Hoheiten den Großfürsten Alexander und Sergei Michailowitsch und durch die spätere ins Mittelmeer auf dem »Polarstern« mit Sr. Kaiserl. Hoheit dem Grofsfürsten -Thronfolger verhindert. Erst der verflossene Sommer gab mir auf dem Villaschlösschen Sr. Kaiserl. Hoheit des Grofsfürsten Nikolai Michailowitsch »Likani« am oberen Cyrus die Ruhe und damit die Möglichkeit, meine Studien niederzuschreiben. Möchten sie bei dem betreffenden Publikum freundliche Aufnahme finden.
Tiflis, im Dezember 1898.
Dr. G. Radde.