Chinas wilde MuDan

Strauchpfingstrosen tragen in den Baum­schulen, den Katalogen und Büchern den Namen Paeonia suffruticosa. Neuere For­schungsergebnisse aus China machen eine Korrektur der botanischen Gliederung dieser wertvollen Gartenpflanzen erforderlich.


China ist die Heimat der Strauchpfingstrosen, der Mu Dan. Unter diesem Begriff versteht man in China die bei uns unter dem Namen P. suf­fruticosa bekannten strauchi­gen Päonien. In China wer­den Mu Dan seit der Han-Dynastie vor zwei Jahrtausen­den gärtnerisch kultiviert und seit dieser Zeit intensiv züch­terisch bearbeitet. Noch heute gelten die Mu Dan als die ver­ehrungswürdigsten Blumen. Der Dichter Ao Yangxiu der Song-Dynastie (960-1276 n. Chr.) rühmte sie in einem Ge­dicht: “Unter dem Himmel ist nur die Mu Dan die echte Blu­me." Die Begeisterung der Chinesen für die Mu Dan ist ungebrochen; erst vor kurzem erklärte der chinesische Na­tionalkongreß sie zur Blume der Nation.

Es ist erfreulich, daß sich das Interesse der chinesi­schen Botaniker in den ver­gangenen Jahren zunehmend den letzten noch auffindbaren wilden Strauchpfingstrosen zugewandt hat. Durch die Öffnung Chinas erreichen in­teressante Forschungsberich­te und faszinierende Bilder nun auch das außerchinesi­sche Ausland.

Im letzten Jahrzehnt sind vermehrt chinesische Veröf­fentlichungen über Chinas wilde Pfingstrosen erschie­nen. Bedingt durch die sprachlichen Barrieren wur­den bisher nur wenige dieser Forschungsergebnisse im au­ßerchinesischen Ausland be­kannt. Eine Ausnahme sind die Arbeiten von Prof. Hong Tao, die auch in englischer Sprache veröffentlicht wur­den. Sicher hat auch seine Freundschaft mit dem Vize­präsidenten der Internationa­len Dendrologischen Gesell­schaft, Dr. Gian Lupo Osti, dazu beigetragen, daß seine Forschungen bekannt wur­den. An zwei Expeditionen Prof. Hongs 1990 und 1994 zu den Wildstandorten der Päo­nien konnte Dr. Osti teilneh­men. Während der letzten Reise begleitete außerdem der deutsche Fotograf Josh Westrich die Expedition. Seine hier veröffentlichten Bilder sind ein einzigartiges botanisches und zeitgeschichtliches Doku­ment und begeistern durch ihre Brillanz und ihren Infor­mationsgehalt.

Einteilung der Wildarten

Eine gute und auch heute noch brauchbare Einteilung der Strauchpäonien (Sektion Moutan) nahm Sir Frederic Stern in seiner Monographie von 1946 vor. Das wesentlich­ste Unterscheidungsmerkmal ist nach seiner Auffassung der Blütenboden, auch Scheibe genannt. Demnach gehören die Arten, bei denen die Scheibe als ledrige Haut die Fruchtknoten scheidenartig umhüllt, zu der Untersektion Vaginatae (siehe Grafik auf Seite 11). Die Arten, bei de­nen die Scheibe als auffallende fleischige Lappen ausgebildet sind, gehören zu der Un­tersektion Delavayanae.

Unter dem Begriff Paeonia suffruticosa wurden alle Päonien der Untersektion Vagina­tae, deren Triebe verholzen und bei deren Blute die Fruchtknoten von einer ledrigen Scheidenhaut umhüllt sind, zusammengerafft.

Die chinesischen Botaniker gehen davon aus, daß das Herbarmaterial, das im Ausland unter dem Begriff P. suf­fruticosa aufbewahrt wird, Hybridmaterial ist. So definierte der Botaniker Andrews, der P. suffruticosa den Namen gab, eine gefüllte Blute: ,,Flores speciosissimi ut in affinibus, sed in nostris exemplaribus pleni, rosei ..." pleni = gefüllt. Nach Auffassung der chinesischen Botaniker ist daher dieser Name nicht weiter haltbar.

Zur Zeit ist die Nomenkla­tur auf dem Gebiet der wilden Strauchpfingstrosen weltweit intensiv in der Diskussion. Es ist zu befürchten, daß die Pflanzen am Naturstandort möglicherweise ausgerottet sind und zu Forschungszwecken nicht mehr zur Verfü­gung stehen, bis die nahezu babylonische Sprachverwir­rung gelöst und international vereinheitlicht ist.

Dieser Beitrag möchte die wichtigsten Vertreter der im letzten Jahrzehnt erforschten chinesischen Arten vorstel­len, die in mehreren Provin­zen gefunden wurden und deren internationale Aner­kennung bereits als gesichert erscheint. Weitere Wildarten, die in den letzten Jahren ge­funden und beschrieben wur­den, werden in diesem Bei­trag nicht ausführlich bearbei­tet, da ihr Standort zum Teil geographisch sehr stark be­grenzt zu sein scheint oder die Taxonomie und Nomen­klatur hierüber noch in voller Diskussion ist.

Paeonia rockii (S. G. Haw & L. A. Lauener) T. Hong et. J.J. Li (1992)

In den zwanziger Jahren sandte Dr. Joseph Rock Sa­men einer Päonie aus dem Garten des Lamaklosters von Choni (oder Jone) in der Pro­vinz Gansu in die USA. Die aus diesen Samen gezogenen Pflanzen wurden unter den Namen Paeonia suffruticosa 'Rock's Variety' oder 'Joseph Rock' bekannt und verbreitet. 1990 schlugen die Botaniker Stephen G. Haw und L. A. Lauener vor, diese Pflanze P. suffruticosa ssp. rockii zu nen­nen. Durch die Expeditionen des Dendrologen Hong Tao und anderer Forstwissen­schaftler, die sie zum Teil in militärischem Sperrgebiet durchführten, wurde die Pflanze in mehreren Provin­zen Chinas nachgewiesen.

Aus diesem Grund sahen die Autoren sie als Wildart an und nannten sie zu Ehren von Joseph Rock P. rockii.

P. rockii blüht weiß mit dunkelbraunroten, nahezu schwarzen Basalflecken. Die Scheide und die Narbe sind bei P. rockii weiß. Sie unter­scheidet sich weiterhin von den Kulturformen durch ihre reinweißen Staubfäden, die bei den kultivierten Formen oft rosa oder purpurn gefärbt sind. Die Laubblättchen von P. rockii sind gelappt und auf der Unterseite behaart.

Die Schönheit der Blüte läßt sich am besten mit einem Vers des Dichters Mei Xiao-chen aus der Song-Dynastie beschreiben: “Innerhalb des weißen Wolkenmeeres sehen wir das Herz der purpurnen Morgendämmerung."

P. rockii wurde vor allem in Zentralchina in den Provin­zen Henan, Shaanxi und Gan­su gefunden. Diese Provinzen sind vom Lößboden geprägt. Sie sind von vergleichsweise trockenen Wintern gekenn­zeichnet mit Temperaturen bis zu -30 °C. Die durch­schnittlichen Jahresnieder­schläge sind mit 350 bis 600mm relativ gering. Einem solchen Klima ist P. rockii an­gepaßt. Die Fundorte von P. rockii liegen in Gebirgszonen auf 1000 bis 3000m über dem Meeresspiegel.

Dr. Osti berichtete von der außergewöhnlichen Tiefe der Wurzeln einer P. rockii. So ha­be er eine P. rockii gesehen, deren Wurzeln bis zu 4 m tief reichten. Dies war sichtbar, weil die Pflanze neben einem im Bau befindlichen Graben stand.

Ein Foto von den wenigen verbliebenen Rückzugsgebie­ten der Pflanze beweist die unglaubliche Überlebens­kunst der Pflanze: In einem für Pflanzenjäger unzugängli­chen Felsspalt überlebte und blühte eine P. rockii.

Paeonia rockii ssp.

linyanshanii T. Hong &

G. L. Osti (1994)

Ebenso wie P. rockii blüht die­se Unterart mit weißen Blüten mit einem schwarzroten Basalfleck. Allerdings hat diese Unterart völlig anderes Laub. Die Blätter sind lanzettlich und ungelappt. Diese Unter­art wurde erst 1994 von Prof. Hong und Dr. Osti im chine­sischen Bulletin of Botanical Research veröffentlicht. Ihre Heimat sind die Provinzen Hubei und Gansu. Dort wur­den sie in Gebirgsregionen in etwa 1500m Meereshöhe ge­funden.

Paeonia ostii T. Hong & J. X. Zhang (1992)

P. ostii blüht ebenso wie P. rockii weiß, doch fehlen ihr die charakteristischen Basalflecke. Am Grunde der Blüten­blätter kann sie auch leicht ro­sa überhaucht sein. Statt der hübschen Basalflecken der Blütenblätter ist die den Fruchtknoten umgebende Scheidenhaut rot gefärbt, was der Blüte einen wundervollen Kontrast verleiht. Auch Staub­fäden und Narbe sind rot.

Die Laubblättchen von P. ostii sind lanzettlich oder ovallanzettförmig und ganz, während das Gipfellaubblättchen gelappt ist. Auf der Un­terseite der Blätter ist P. ostii unbehaart, dagegen finden sich auf der Oberseite der Blätter an der Basis der Mittel­rippe einzelne Haare.

Im Gegensatz zu P. rockii findet sich P. ostii eher in öst­lichen Gebieten Chinas in den Provinzen Anhui, Henan,' Hunan und Shaanxi. Diese Gebiete sind von einem ge­mäßigten bis subtropischen Klima gekennzeichnet; auch die Niederschläge sind, ver­glichen mit den Standorten von P. rockii, höher.

Es wurden nur sehr wenige Standorte gefunden, an de­nen diese Wildart noch vor­kommt.

Ein interessanter Fundort von P. ostii ist in der Provinz Anhui bei der Stadt Chaohu. Dort klammert sich eine jahr­hundertealte Pflanze an einer mehr als 100m hohen Klippe in einer Felsspalte fest und ist so vor Interessenten ge­schützt. Der Standort dieser Pflanze ist seit 600 Jahren schriftlich belegt. Zur jährli­chen Blütezeit um den 20. April herum wallfahren ganze Pilgerscharen und be­staunen das “Wunder auf dem Fels". Ein wichtiger Standort ist das Schutzgebiet am Tai Bai Shan (Shan = Berg) in der Provinz Shaanxi. Da diese Po­pulation tieferen Wintertemperaturen ausgesetzt wird, ist sie genetisch besonders inter­essant.



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R yananensis

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Paeonia jishanensis T. Hong et W. Z. Zhao (1992)

P. jishanensis ähnelt mit ihren Basalflecken in der Blüte P. rockii, doch ist der Habitus der Pflanze viel kleiner und ge­drungener. Besonders das Laub der Pflanze ist auffal­lend; auf den ersten Blick erinnert es an das Laub von Akeleien. P. jishanensis wurde nur an zwei Fundorten in 1200 bis 1500 m Meereshöhe in Bergen der Provinz Shanxi gefunden. Von der sehr ähnli­chen P. suffruticosa ssp. spontanea soll sie sich darin unter­scheiden, daß die von Rehder beschriebene Pflanze eine Hy­bridform ist, die manchmal die Staubblätter zu Blütenblättem umgeformt auf weist. Die Originalbeschreibung hierzu lautet: “interdum staminibus petaloideis praeditis". Damit ist P. suffruticosa ssp. spontanen nicht mehr als Wildform anzusehen.

Hybriden

Besonders P. ostii wurde jahr­hundertelang intensiv züchte­risch bearbeitet. Andere Wild­arten wurden eingekreuzt und Auslesen getroffen. Es läßt sich heute nur noch sehr schwer feststellen, von wel­cher Wildart eine Kulturform abstammt. Trotzdem interes­siert sich Prof. Hong auch für die phylogenetische Ver­wandtschaft der Hybriden und hat darüber eine Arbeit veröffentlicht. Bei einigen Hy­briden läßt die lanzettliche Form des Laubes und die Rot­färbung der Scheide und der Staubgefäße Vermutungen über die Abstammung von P. ostii zu.

Die der Wildart am näch­sten verwandte Hybridform ist ‘Phoenix White', eine stark duftende Schönheit. Phoenix White' ist seit der Mingzeit vor etwa 500 Jahren bekannt. Diese Hybride wird beson­ders in der Provinz Anhui in für uns unvorstellbaren Men­gen für medizinische Zwecke angebaut. Die Pflanzen wer­den aus Saatgut herangezo­gen. Aus der Rinde der Wur­zeln gewinnt man Danpi, ein Heilmittel bei Blutungen und Krämpfen.

Weitere sicher von P. ostii abstammende Kulturformen sind unter anderem Phoenix Pink', Phoenix Purple', Phoenix White Lotus' und Phoenix Pink Lotus', wobei sich der Begriff “Lotus" auf die vermehrte Anzahl an Petalen bezieht.

P. osti wird für unsere Brei­tengrade als nicht ganz so ro­buste und widerstandsfähige Pflanze angesehen wie P. rockii. Trotzdem dürften ihre Kulturformen mit unseren Wintern zurechtkommen. An einem kühlen Standort ge­pflanzt, beginnt der Austrieb später, wodurch sich die Ge­fahr von Schäden durch Spät­fröste verringert. Allerdings liegen noch keine gesicherten Erfahrungswerte zur Winter­härte für den mitteleuropäi­schen Raum vor.

Auch von P. rockii gibt es wundervolle Hybriden, die ihre Eltern an Schönheit über­treffen. Alle im außerchinesi­schen Ausland unter dem Namen 'Joseph Rock' und 'Rock's Variety' verbreiteten Pflanzen und deren Sämlinge sind als Hybridformen anzu­sehen. Mit der Wildpflanze haben sie die große Winter­härte, ihre Widerstandsfähig­keit gegenüber Pilzerkran­kungen und ihre Bodentole­ranz gemeinsam. Die Bilder von Josh Westrich zeigen, daß es in China auch herrliche Kultursorten in zartestem Ro­sa und glühendstem Rot gibt (Abb. 10). Der nahezu schwarze Basalfleck dieser Hybriden verleiht diesen Schönheiten einen faszinie­renden Kontrast. Allein in der Provinz Gansu sollen etwa 200 verschiedene Kultursor­ten dieser Abstammung be­kannt sein.

Im Jahre 1994 verstand es die einzige private Gärtnerei Peace Peony Nursery bei Lanzhou (Provinz Gansu), einige interessante Hybridfor­men bei der amerikanischen Päoniengesellschaft registrie­ren und schützen zu lassen. In Zukunft wird diese Gärtne­rei sicher auch direkte Han­delswege ins Ausland aufbauen. Mit ein wenig Geduld werden dann auch wir Euro­päer diese Herrlichkeiten er­stehen können.

Der Geschmack in China bevorzugt seit Jahrhunderten gefülltblühende Päonien. Da­her wurden auch vorwiegend solche Päonien ausgelesen und vermehrt. Die Fotos von Josh Westrich beweisen eine erstaunliche Standfestigkeit der gefülltblühenden Päo­nien.

Auch im eigenen Garten entstanden interessante Zu­fallskreuzungen durch die Be­mühungen einheimischer In­sekten mit den wenigen Strauchpäonien japanischer Herkunft und einer P.rockii-Kultursorte. Diese Sämlinge erbten von ihrer Mutter den kontrastvollen Basalfleck in der Blüte und die gesunde Robustheit, von den Vätern kamen rosa und rote Tönun­gen der Blüten hinzu. Eine Abbildung eines dieser Säm­linge erschien in Gp Nr. 8/ 1995 auf Seite 45.

Die P.-rockii-Muttersorte wurde aus Samen gezogen, der uns 1982 von einem Freund geschenkt wurde. Die Pflanze blühte bereits vier Jahre nach der Aussaat zum ersten Mal. Bisher hatte sie noch nie irgendwelche Krank­heiten. Zur Zeit ist sie etwa 1,50 m hoch und hat einen Durchmesser von 1,80 m. Zur Blütezeit beschenkt sie uns mit einem Rausch von 70 bis 80 Blüten. Bis sie mögliche chinesische Dimensionen von 3 m Durchmesser und bis zu 800 Blüten erreicht, vergehen bestimmt noch einige Jahr­zehnte.

Die chinesischen Wildarten sind streng geschützt. Dr. Osti war erschüttert, als er bei seiner zweiten Reise feststel­len mußte, wie sehr die Popu­lation der wilden Strauchpäo­nien in den vier Jahren seit seiner letzten Reise abgenom­men hatte. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß die Rinde der Wurzeln der Strauchpäonien für medizini­sche Zwecke genutzt wird. So stellt die eine staatliche Stelle die Pflanzen unter Natur­schutz, und gleichzeitig kauft eine andere staatliche Stelle die Pfingstrosenwurzeln für medizinische Zwecke von den Bauern auf. Bei der Ar­mut der Landbevölkerung ist es verständlich, daß sie ihr ge­ringes Einkommen dadurch aufzubessern versuchen, daß sie keine Pfingstrosenwurzeln aus eigenem Anbau verkau­fen, solange sich noch viel leichter und schneller Wur­zeln aus der Wildnis entneh­men lassen. Dem im Wohl­stand lebenden Europäer blu­tet bei dem Gedanken an den Raubbau an diesen einzigar­tigen Schönheiten das Herz. Nicht zuletzt macht die Zer­störung der natürlichen Standorte die weitere botani­sche Forschung unmöglich.

Irmtraud Rieck