[Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasusländern] Kapitel 1 Abs. III.

Erstes Kapitel. Die Steppen der Kaukasusländer.

III. Klima des Steppengebietes.

Nach dieser geographisch-geologischen Orientierung müssen wir nun einen Blick auf die deckende Atmosphäre unseres Steppengebietes werfen. Das Klima ist zwar im allgemeinen für die Winterperiode milde, wodurch auch die Existenz der nomadisierenden Völker in der Osthälfte gewöhnlich gesichert erscheint; allein von Zeit zu Zeit treten sowohl im Sommer, wie namentlich im Winter förmliche Wetterparoxysmen ein, welche nicht allein Ackerbau und Viehzucht schädigen, sondern selbst den wilden Holzgewächsen nachteilig werden. Schneewehen, welche an Dauer und Intensität der sibirischen Purga nichts nachgeben, fegen im Winter über das offene Steppenland. Ihnen fallen nicht selten zum großen Teil die Schafheerden der Nomaden zum Opfer aus Mangel an Futter und infolge von Erschöpfung. Im Sommer giebt es eben solche heftige und anhaltende Treiben feinsten Lehmstaubes, großartige Lösswehen neuester Zeit, welche bei gleichzeitiger hoher Temperatur und Trockenheit der Luft die Saaten, wenn nicht ganz vernichten, so doch schwächen. Diese, wie auch die winterlichen Unwetter, kommen gewöhnlich aus den Quadranten NO. und SO., sie sind so stark, dass man die Sonne nicht sieht und die Reise unterbricht, bis der Sturm ausgetobt hat.

Zunächst möge nun die Tabelle über die mittleren Temperaturen folgen.

Ich stelle die Ortslage der zwölf Beobachtungsstationen voran.

[p. 28:]

1) Ich benutze die neuesten Tabellen, welche Herr Wosnesensky, ehedem Gehilfe im phys. Obs. von Tiflis, im Kauk. Kalender 1894 veröffentlichte. Die entsprechenden Smirnow'schen weichen, was die Temperaturen anbelangt, nicht wesentlich ab, dagegen sind seine Angaben über die Niederschläge nicht übereinstimmend mit den neuesten.



Aus dem Vorstehenden erhält man die Vorstellung, dass in unserem Steppengebiete durchschnittlich die Winter milde und nur die beiden Hochsommermonate Juli und August, zumal in den tieferen Lagen, recht heiß sind. Das findet als Regel auch statt, allein es giebt, wie ich oben schon erwähnte, glücklicherweise rasch vorübergehende Ausnahmen, welche im vollsten Maße die Extravaganzen des kontinentalen Klimas dieser Gebiete kennzeichnen. Schon die monatlichen Mittel der beobachteten Minima und Maxima, wie wir sie für Stawropol nach einer langen Reihe von Beobachtungsjahren berechnet finden (siehe: Smirnow, l. c. pag. 71), deuten auf die winterliche Rauheit des Klimas hin. Folgende Tabelle giebt darüber Auskunft



Die absoluten Maxima und Minima lassen uns die äußersten Grenzen für Kälte und Hitze erkennen. Ich verdanke die darauf bezüglichen Facta dem [p. 29:]früheren Direktor des physikalischen Observatoriums in Tiflis, Herrn Stelling, der mir Folgendes mitteilte:

Für die drei Stationen mit nur siebenjähriger Beobachtungszeit dürften die ermittelten Werte keineswegs die überhaupt höchsten und niedrigsten sein.

Jedenfalls aber genügt Vorstehendes, um die ausnahmsweise so excentrischen Temperaturschwankungen zu beweisen. Diese sind von größter Wichtigkeit für die Existenz nicht allein vieler Kulturgewächse, sie bedrohen auch manche der wildwachsenden Holzpflanzen des Landes, wie ich das im Verlaufe der Spezialschilderungen nachweisen werde.

Dass diese unheilvollen Temperaturextreme wesentlich in dem ununterbrochenen Zusammenhange unseres Gebietes gegen N. und 0. mit dem europäisch asiatischen Kontinent begründet sind, ist klar, und dass unter demselben Einflusse auch die Gauen Transkaukasiens, selbst in den Tiefländern der Westseite bisweilen leiden, ergiebt sich aus den dort ermittelten Temperatur- und Windrichtungswerten, die ich weiter unten erwähnen werde.

Über den relativen Feuchtigkeitsgehalt und die Klarheit der Luft, sowie über das Maß der Niederschläge in den Steppengebieten an der Nordseite des Gebirges kann ich nachstehende Tabellen geben.

[p. 30:]

Aus den vorstehenden Angaben ergiebt sich das Klima für die in Rede stehenden Steppen als ein kontinentales mit heißen Sommern und mäßig kalten Wintern, welchen beiden im äußersten Plus und Minus ausnahmsweise extreme Temperaturen zu teil werden. Reichlichere Niederschläge fallen entlang dem Gebirgsfuße, auf den Stawropol'schen Höhen und in geringerem Grade auch um die isolierte Beschtaugruppe. Eine Abnahme derselben gegen Osten ist bemerkbar, sie erreichen unmittelbar am Kaspiufer die geringsten Werte. [p. 31:]

1. Steppen der Kaukasusländer

IV. Verschiedenheit des Bodens im Steppengebiete