[Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasusländern] Kapitel 2 Abs. II.
Zweites Kapitel : Das kolchische Gebiet und sein Anschluss gegen Nordwesten an Taurien (Batum Nowo-Rossiisk).
[p.107:] II. Allgemeiner Charakter der kolchischen Landschaft.
Bevor ich die Specialschilderungen beginne, muss ich noch einige Worte über den Totaleindruck der Vegetation der kolchischen Lande sagen. Überall tritt uns an den beiderseitigen Gebirgswänden, die wir oben als die seitlichen Schenkel des stumpfspitzigen Dreiecks bezeichneten, üppiger, oft auf große Entfernungen geschlossener Hochwald entgegen. Er bedeckt nach den offiziellen Ausweisen im Kutaisschen Gouvernement in Abchasien und Adsharien einen Flächenraum von 1.508.000 Desjt. [Anm: Derartige kompakte Waldbestände finden wir nirgends im übrigen Teile von Transkaukasien in gleicher Ausdehnung. Erst am Südufer des Kaspi, von der Gäsküste über Massenderan und Gilan zum russischen Talysch, treten wir überall in geschlossenen Hochwald, dem aber die zapfentragenden Coniferen vollständig fehlen. An der Nordseite des Kaukasus nimmt von W. nach O. der Wald stetig ab, das SO.-Ende der Hauptkette ist kahl. Ebenso verhält es sich an den breit von einander zurücktretenden Thalwänden der mittleren und unteren Kura. Die östliche Vorstufe von Hocharmenien, der Karabagh - Gau, blickt mit untenher kahler Front in die öde Mugansteppe, und das südlich und westlich davon gelegene Aderbaidshanische und Armenische Hochland mit seiner breitrückigen Wasserscheide zwischen Euphrat und Araxes bietet nur hier und da geringes Gebüsch. Erst im nördlichen Taurus giebt es bedeutende, fast reine Kiefernbestände. Später hierüber Ausführliches.]
[p.108:] In der mittleren Höhe von 21302220 m (70007300 r. F.) wird die Baumgrenze bald durch die Rotbuche, Eiche, Birke und Acer Trautvetteri [Anm: Im Jahre 1864 brachte ich aus Hochsuanien eine Acerspecies aus über 1800 m (6000 r. F.) Meereshöhe mit, welche Trautvetter als A. platanoides bestimmte; später erkannte Medwedew darin eine selbständige Art, die er Trautvetter zu Ehren benannte, und die als Hochstamm vielerorts an der Baumgrenze zu finden ist.], bald auch, aber viel seltener, von der Kiefer und kaukasischen Fichte, Picea orientalis, gebildet. Daran schließen sich ohne Vermittlung von Knieholz, aber meistens mit niederliegendem Rhododendron caucasicum die subalpine und die hochalpine Zone, letztere bis zu Höhen von reichlich 3050 m (10000 r. F.), und dann folgt das Firn- und Gletschergebiet. Infolge der starken Niederschläge an der hohen nördlichen Gebirgswand des kolchischen Beckens, namentlich vom Elbrusmeridian an in den suanischen Alpen bis zu den Quellen der drei Hauptgewässer: Ingur, Tskenis-tskali und Rion, werden Gletscher- und Firnbildungen trotz ihrer südlichen Lage so begünstigt, dass sie in ihrer Totalität eine sehr bedeutende lokale Erkältung bedingen und die Schneelinie im Durchschnitt um ganze 600 m (2000 r. F.) tiefer verlegen, als das an der Nordseite des Kaukasus der Fall ist. Wenn sie hier an der Südseite mit 3050m (10000 r. F.) im Mittel verzeichnet werden darf, so steigt sie an der Nordseite schon westlich vom Elbrus und an ihm selbst bis zu 3650m (12000 r. F.) an, welche mittlere Höhe der Schneelinie auch für den gesamten östlichen Teil des Gebirges, für Hocharmenien und Aderbaidshan (Sawalan) gültig ist. Auch auf die Kultur der Cerealien übt die starke Vergletscherung des kolchischen Hochgebirges offenbar eine Depression aus. Im Freien-Suanien werden der Gerste und der elenden Hirse, hier Panicum viride (Pötw der Suanen), mit 2200 m (7200 r. F.) die äußersten Grenzen in der Vertikalen gezogen, wobei die geringen Ernten keineswegs immer gesichert sind.
Im pontischen Ufergebirge und auf der adsharo-imertinischen Scheide kommen wir am oberen Rande nur in die subalpine Zone, aber der Schnee hält sich in einzelnen Schluchten bis in den Hochsommer.
Das Mittelgebirge bietet gemischten Wald, in welchem die Eiche (Quercus sessiliflora) vorwaltet, beide Carpinusarten, Fagus oft in größeren, reinen Beständen, Rüstern, Ostrya, Castanea, auch in geringerer Zahl verschiedene Ahorne, Linden, Zitterpappeln und Eschen gesellen sich dazu. Coniferenmassive, aus der Kiefer, der orientalischen Fichte und der Nordmannstanne bestehend, durchsetzen sporadisch die Laubwälder, gewinnen nach oben hin, bei stärker coupiertem Terrain, an Zusammenhang, bilden da weite Bestände, meiden aber, namentlich Fichte und Tanne, entschieden die tieferen Lagen und fehlen auf weiten Strecken ganz. Andere zapfentragende Coniferen finden sich nur sporadisch auf kleine Plätze beschränkt, so Pinus Laricio, [p.109:] P. maritima, P. Pinea, P. montana. Ein artenreiches Unterholz wuchert oft so dicht, dass man darin nur mit Mühe vorwärts kommt. Außer den hochstrebenden, dichtgedrängten Stangenhölzern der oben genannten Bäume wird es durch einige Mespilus und Crataegus, zwei wilde Pflaumenarten, mehrere Kirschen, Evonymus, Viburnum, Corylus und Staphylea, in den niedrigeren Formen durch Ligustrum und Philadelphus aufgebaut. Es gesellen sich ihm einige immergrüne Sträucher zu, so Kirschlorbeer und Rhododendron ponticum, Ilex, Phillyrea und Buxus. Wilde Reben und Smilax sind in den tieferen Lagen die Repräsentanten der Schlingpflanzen, kolchischer Epheu wird zum hochkletternden Schmarotzer, Rubus und Smilax verweben an den lichtvollen Waldrändern das Gebüsch zur undurchdringlichen Dschungel.
Das niedrigste Tiefland zeigt uns im Riondelta ungangbare Sümpfe von weiter Ausdehnung. Darin vielerorts verrottete Bestände von Alnus glutinosa und Pterocarya; Weidengebüsch umsteht die Wasserflächen, in denen Rohr, Schilf, Typha, Acorus und saure Gräser sich ansiedelten. An trockneren Plätzen erreichen die Rotbuche, die beiden Carpinus, Linde, Esche, Eiche, drei Acerarten (A. laetum, A. campestre und A. platanoides) das Meeresufer und entwickeln sich an manchen Standorten zu kolossalen Dimensionen.
Die Strandlinie ist meistens durch grobes Gerolle gezogen, die Tiefe des Meeres nimmt fast überall rasch zu. Nur das Delta des Rion weist beiderseits der Küste entlang niedrige Dünen von einiger Ausdehnung auf. An anderen Stellen, Suchum, Pizunda, sind sie winzige, schmale Uferstreifen.
Die Flach- und Vorländer, welche sich dem Fuße des Hauptgebirges entlang hinziehen und, von Suchum gegen Osten an Breite zunehmend, das abchasische und mingrelische Tiefland bilden, dann in Imeretien bis zur unteren Kwirila in das Phasisdreieck einschneiden, stellen als Kulturland eine Art Gartenlandschaft dar. Sie liegen in der Meereshöhe von etwa 20120 m (60400 r. F.). Vegetativ darf man ihnen nirgends den Charakter der Steppen beilegen; äußerst wenig erhielt sich aus jenen in diesen nassen Gebieten. Sie tragen, reichlich getränkt, wie wir wissen, von Natur aus einen gut geschlossenen Rasen, in welchem die charakteristischen Steppenarten gar nicht zur Geltung kommen, wenn man auch nicht behaupten darf, dass alle absolut fehlen. Nur sind diese Vertreter der Steppe von der Nordseite her sowohl der Arten- als namentlich der Individuenzahl nach sehr gering. Die auf diesem Gebiete meistens zerstreut verteilten Wohnstätten sind von lichtem Gehölz umgeben (Diospyros, Maulbeere, Eschen, Ellern), in welchem die Rebe überall hoch rankt; dazwischen Wiesengründe, Maisfelder, gewöhnlich von nur geringem Umfange. Unterbrochen werden diese recht primitiven Kulturstätten von kleinen Wäldchen und größeren Farnkrautstrecken (Pteris = Pteridium aquilinum), welche letzteren schwer zu bewältigen und daher nutzlos sind.
Unsere botanischen Exkursionen in diesem Gebiete gelten nun:
1. der Uferzone von Batum, dem Tschorochthale von N. nach S. bis oberhalb von Artwin und östlich im Oberlaufe des Adshari-tskali; [p.110:],
2. dem gesamten Ufer des Pontus von Batum über Poti nach Suchum und weiter über Golowinsk bis nach Anapa. Bei dieser Gelegenheit werden wir besondere Aufmerksamkeit auf diejenige Strecke verwenden, wo der Übergang in Klima und Flora von dem ostpontischen Typus in den taurischen und Steppentypus stattfindet. Zugleich auch wird uns die Frage beschäftigen, den Verwandtschaftsgrad der ostpontischen Flora mit der des Mediterraneums zu diskutieren;
3. dem Anstieg an der Südfront des Großen Kaukasus, also von S. nach N., bei Nowo-Rossiisk, Tuapse, im Msymtathale, im Kodorthale, in den drei Hoch-thälern des Rion, Hippos und Ingur bis zur alpinen Zone. Diese Exkursionen werden in dem Abschnitte über die kaukasischen Wälder wesentlich ergänzt. Die subalpine und die hochalpine Zone behandle ich in besonderen Abschnitten für das gesamte Kaukasusgebiet.
III. Tschorochtal |