[Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasusländern] Kapitel 2 Abs. V.

V. Vegetationscharakter der Thäler an der pontischen Südfront des Großen Kaukasus.

Allgemeiner Charakter der kolchischen Thäler S. 189. Das Rion-Thal und der Ratscha-Gau S. 190. Das Hippos-Thal S. 191.


Nachdem wir nun die Waldbestände in ihren Holzarten kennen lernten, kann in Kürze der Aufstieg im Thale der Msymta und des Kodor, sowie in den drei kolchischen Längenhochthälern geschildert werden. Den ersteren darf ich hier kaum berühren, da wir dieses Gebiet bei der Durchquerung des Kaukasus von Psebai nach S'otschi genauer kennen lernen werden.

Allgemeiner Charakter der kolchischen Thäler. Die kolchischen Thäler — gleichgültig, ob sie in der Hauptrichtung O W. als erweiterte Längenhochthäler, oder im Anschlüsse daran in der Hauptrichtung NS. als enge, steilwandige Schluchtenthäler erscheinen und so in die vorlagernde mingrelische Gartenlandschaft treten — unterscheiden sich wesentlich von den oben besprochenen der pontischen Uferzone. In ihrem ganzen Verlaufe, bis zu ihren Wiegen, die meistens mit Gletscherbächen unmittelbar an der Südseite der Hauptkette gelegen, deckt sie nämlich überall eine feuchtigkeitsschwere Atmosphäre, deren Nässegrad mit zunehmender Höhe nicht ab-, sondern zunimmt. Gerade das Gegenteil findet, wie wir gesehen, jenseits der pontischen Uferkette im Randgebirge an der Nordfront Hocharmeniens statt. Das betonte ich besonders bei den Erörterungen über das Tschorochthal. Wir finden deshalb in allen kolchischen Thälern die Üppigkeit der Vegetation gleichmäßiger verteilt und sogar überall da, wo der Mensch sie nicht wesentlich beeinflusste, mit steigender Höhe in zunehmender Intensität. Wo die Urkraft abgeschwächt erscheint, da liegen die Gründe dafür nicht in den modifizierten und weniger günstigen allgemeinen Naturverhältnissen, sondern in lokalen Umständen. So ist z. B. das höchst gelegene der kolchischen drei Längenhochthäler, das Quellland des Ingur oder das sogenannte »Freie Suanien«, wie überhaupt, so auch im vegetativen Sinne, ein armes Land. Eng eingekeilt zwischen zwei Gebirgszügen, deren Gipfelhöhen überall in die Firn- und Gletscherregion hineinragen, und deren beiderseitige Flanken fast [p.190:] immer steil einschießen, steht dieses Längenhochthal überall unter dem Einflüsse lokaler Erkältung, welche die unteren Grenzen der Schneelinie, die Höhen der Baumgrenze und der geringen Cerealienkulturen sehr fühlbar herabdrücken. Dazu kommt, dass das Quellthal des Ingur im Vergleiche zu seiner dürftigen Natur verhältnismäßig stark bevölkert ist. Seit undenklichen Zeiten flüchteten sich aus den Tiefländern und Nachbarthälern alle solche Elemente hierher, deren Existenz dort durch eigene Schuld, oder durch den Druck Anderer gefährdet oder unmöglich geworden war, und da das Thal auch gegen SW. durch einen 10 Meilen breiten Riegel (das vorlagernde Gebirge, welches vom Ingur in schmaler Rinne mit jähem Gefalle durchbrochen wird) fast hermetisch verschlossen ist, so lag es in der Natur der Sache, dass die Existenz der allmählich heranwachsenden Bevölkerung der kargen Natur gegenüber eine nur dürftige sein konnte. Im »Freien Suanien« handelt es sich für den Wohlstand jeden Bewohners um das Maß alpinen Weidelandes, welches ihm zur Disposition steht. Alle Feindschaft und die meisten juridischen Fragen drehen sich da nicht, wie in den Tiefländern, um den Tropfen Wasser, welcher der Erde zu Teil werden muss, um sie ertragfähig zu machen, sondern um den Besitz alpiner Triften, ohne welche die Herden und ihr Herr darben. Wir haben es deshalb in diesem Gau vorwaltend mit den beiden Etagen der alpinen Zone von 1800—3050 m zu thun. Von nur geringer Bedeutung ist die Waldzone im oberen Teile, sie nimmt an Kraft gegen SW. zu und tritt in ungeschmälerter Üppigkeit auf dem gesamten Riegelgebirge in ihr Recht, dabei überall in den höheren Lagen die Tannen und Fichten, viel seltener die Kiefer, in den tieferen den gemischten Laubwald mit immergrünem Unterholze tragend. Im letzteren giebt es zusammenhängende Buchsbaumbestände, die mit Vorliebe den Trümmerboden der Kreidekalke unterhalb der Chuberbrücke zum Standorte wählten. Diese schweigsamen, jungfräulichen Wälder dehnen sich westwärts in überall gleicher Fülle weit fort über die abchasischen Vorberge, so namentlich auch den Kodor aufwärts, wo sie an den Südsteilungen des Nachar-Passes 2920 m in der subalpinen Zone mit Abies Nordmanniana und häufiger mit Picea orientalis in einzelnen vorgeschobenen, alten Individuen die Baumgrenze in Gemeinschaft mit der Weißbirke in reichlich 2130 m Höhe markieren. Dort sind das unbewohnte und fast auch ganz unbenutzte Gebiete. Hier, im Freien Suanien, beginnt die dürftige Kultur mit dem oberen Abschluss der Ingur-Schlucht. In 1000—1080 m sehen wir die Weinrebe bei dem jüdischen Dorfe Lachamuli und bei dem suanischen Lia noch als Spalierpflanze (horizontal) und in 2200 m liegen bei Jibiani, der äußersten Ansiedelung, auch die kleinen Felder der Gerste und Pötw-Hirse (P. viride), welche beide nicht einmal geringe regelmäßige Ernten bringen, sondern oft vom Frost leiden.

Das Rionthal oder der Radscha-Gau. Klimatisch und daher auch kulturell viel günstiger gestalten sich die Verhältnisse in dem tiefsten und geräumigsten der drei kolchischen Längenhochthäler, nämlich in dem des [p.191:] Rion, welches man gewöhnlich als Radscha-Gau bezeichnet. Nur so lange man sich in dem unteren Radschateile bewegt, d. h. in der Zone der recht steil abfallenden Kreide- und Juragebirge, macht sich, wenigstens jahrweise, eine gewisse Trockenheit des dürftigen Bodens bemerkbar, dieser ist oft steinig, wenn nicht gar felsig.. Höher im Bereiche der Prophyrite, Trachyte und alten Thonschiefer nimmt die Vegetation, gleichzeitig mit der Verengerung des Thaies, durchweg einen kräftigeren Typus an. Die Wälder werden geschlossener, sie verdrängen das Unterholz von Carpinus duinensis, welches unten bezeichnend war, nach und nach ganz und in dem nordwestlichen Quellthale des Phasis von Glola über Gebi bis zum Hipposscheider umfangen uns wieder unberührte, zusammenhängende Waldbestände, denen oberhalb sich überall üppige alpine Triften anschließen. Bei Uzeri findet mit der Höhe von 1050 m die Kultur der Rebe und des Mais ihre Grenzen. Aber auch das obere Rionthal ist in Hinsicht auf das geringe Areal von kulturfähigem Boden mit circa 60000 Menschen zu stark bevölkert, alljährlich wandert, namentlich zum Winter, ein Teil derselben aus, um anderweitig Verdienst zu suchen. Wir können daher auch den Radscha-Gau nicht als Grundlage für die Schilderung der kolchischen, primitiven Gebirgsvegetation benutzen.

Das Hipposthal. Diese nun bietet sich in dem zwischen Hochsuanien und der Radscha gelegenen Längenhochthale des Hippos dar (Tskenis-tskali, Pferdefluss), also in dem mittleren der drei kolchischen Längenhochthäler, westwärts bei Lentechi mit 780 m Meereshöhe beginnend und ostwärts am Fuße des Lapuri-Gletschers im Bereiche der Baumgrenze endigend. Dasselbe ist nur spärlich bewohnt und an den beiden Hauptquellläufen des Hippos menschenleer. Es wird gewöhnlich als Dadian'sches Suanien bezeichnet und gehört dem mingrelischen Fürstenhause. Wie der Rion von Bugeuli bis Kutais das Kalkgebirge durchbricht, wie der Ingur dasselbe von Lachamuli bis Dshwari auf größerer Distanz thut., so wird auch der Hippos gegen SW. verriegelt und verlässt, im Knie von W. nach S. scharf gebrochen, sein Hochthal, um in enger Schlucht bis Muri hinzustürzen und dann — immer noch streckenweise hoch eingezwängt —den hügeligen Letschchum-Gau zu durchströmen und unterhalb von Gordi das mingrelische Tiefland zu erreichen.

In dieses Engthal treten wir bei Muri. Zu beiden Seiten streben senkrechte Felsenwände hoch an, sie sind fast überall glatt, von matt graugelblicher Farbe, sie gehören der unteren Kreide an. Da zieren hier und da die Rosetten der Grundblätter, enggedrängt unter dem zerbrechlichen niederliegenden Geäste, der endemischen Schievereckia imeretica Rupr. den toten Felsen. Sie sind recht unscheinbar, grauweiß behaart, das Auge muss sie suchen, ihre nolzige Wurzel dringt tief in die Risse des harten Kalkfelsens. Schon Anfangs April blüht dieses seltene Pflänzchen, im Juni fand ich die Schötchen bereits ohne Samen. Das ist ein exklusiver Repräsentant solcher Kreidekalk-pflanzen, der, soweit bis jetzt bekannt, einen nur ganz kleinen Verbreitungs- [p.192:] kreis einnimmt. Wo das Gestein nicht gar so hart ist, die Spalten häufiger werden, die Wände sich nicht selten in Quadern sondern, da siedelten »ich allerlei Farne, so auch die zarten Wedel von Cystopteris fragilis und von Woodsia fragilis an. Kleine Karniese werden, umgeben von den Polstern der Bryum- und Barbula-Moose, von Asplenium septentrionale bestanden. An ändern Stellen machen sich zierliches Asplenium Ruta-muraria und die niederkauernden Gruppen von Ceterach officinarum, deren Wedel oft an den Rändlern nach innen eingerollt sind, bemerkbar. Wiederum sind es auch mancherlei Fettpflanzen, welche den Kalk mit Vorliebe, wenn auch nicht ausschließlich suchen. Niedrige Polster von Sedum glaucum, S. pallidum, bisweilen von S. acre, besiedeln die Felsenränder. Weithin entsendet Sedum stoloniferum die Ausläufer mit den dicken, dunkeln, rhomboidalen Blättern über das Gestein und die Blütenstände von Umbilicus oppositifolius hängen abwärts an der kahlen Stellung. Auf den Halden des Trümmergesteines sehen wir harzige Seseli-Dolden, ihnen zu Füßen blüht Convolvulus cantabricus, niedrige Asperula cynanchica und robuste Campanula alliariifolia. Nahe vom dürftigen Ginster-Gesträuch (Genista tinctoria) erheben sich die Gruppen von Sedum maximum, von glauker Färbung, in allen ihren Teilen dick und fleischig. Hier und da zeichnet auch Silene compacta mit ihren gedrängten Blumen schöne rote Flecken auf den fahlen, gelbgrauen Steingrund. Aber die schönste von allen Kalkpflanzen dieses Gebietes wird durch die freilich nicht häufige Symphyandra ossetica repräsentiert [Anm.1:Von mir bei Muri gesammelt.]. Das zarte Geäste dieser Campanulaoee, an der Basis reich und dunkelgrün belaubt, an den Spitzen mit vielen großen, dunkelblauen Glockenblumen besetzt, hängt aus engster Spalte an der seink-rechten Felsenwand abwärts, zarte und duftende Valeriana saxicola sehen wir in ihrer Nähe die schmale Kante des Gesteines bewohnen.

Bis jetzt bewegten wir uns in Höhen von reichlich 600 m über dem Meere. Bei dem Höhersteigen und mit dem Auftreten der Schiefer ändert sich Manches in der Flora. Je nach der Steilheit der Böschungen und der Feuchtigkeit des Bodens erscheint" der Laubholzwald kräftiger oder schwächer. Es verschwindet im Unterholz nach und nach Carpinus orientalis, die Steineiche dominiert, ist aber keineswegs gut gebaut und gesund. Ihr schließen sich Weißbuche, Ahorne, Rüstern, Linden an, höher gewinnt die Rotbuche die Oberhand. Immergrünes Buschwerk, namentlich Kirschlorbeer und Buxus, Hex und Rhododendron ponticum suchen sich den Halbschatten unter Weiß-und Rotbuchen. Die braunen reißenden Fluten des Hippos unterwaschen die lockeren Uferstrecken; da kracht dann Alles zusammen und wird vom Wasser thalwärts geschwemmt. Schenkeldicke Stämme vom Kirschlorbeer, voll und frisch belaubt, drehen sich im Wirbel um den Felsenkopf, an welchem das schmutzige Nass zerstäubt, bis der Zufall sie befreit und sie mit den Fluten weiter stürzen. Elend geschunden, zerzaust, entlaubt, zerbrochen, schwimmen sie dem Phasis, dem Meere zu. Das ist ein Lärmen und Tosen, ein ununter- [p.193:] brochener Kampf, ein Vernichten und Sterben, mitten im vollen Frieden der grandiosen Gebirgsnatur, welche mit jedem Schritte, den wir vorwärts thun, an Großartigkeit zunimmt. Hier, wo die Sonne das Gehänge im lichten Eichenwalde freier trifft und die Gebüsche von Staphylea colchica höher aufschössen, blühen wieder kolchische Lilien und Philadelphus, Gymnadenia conopea und Orchis maculata, O. sambucina und Anacamptis pyramidalis, Androsaemum officinale und Hypericum montanum, Ulmaria Filipendula, Lotus und Coronilla. Dort, im Schatten geschlossener Rotbuchen, behagt es nur wenigen, gewissermaßen lichtscheuen Arten; genügsam sind Sanicula europaea, Geranium Robertianum, Geum urbanum, Galium valantioides, Circaea lutetiana, Myosotis sparsiflora, hier und da Neottia Nidus avis. Mit dem Eintritt in das eigentliche Hochthal bei Lentechi, 800 m hoch, wird gegen Osten an vielen Stellen die Aussicht freier. Von den beiderseits uns begleitenden Thalhöhen blinken Schneegründe und grüne Matten auf uns herab und die Vegetation nimmt an den Gehängen entweder den Typus geschlossener, unberührter Hochwälder an, oder, der Thalsohle näher, den der lachenden Waldwiese. Diese beiden Typen schildere ich eingehend in dem Kapitel über die Wälder. Gesagt sei nur, dass vielerorts auf den suanischen Waldwiesen auch in tieferen Lagen, 1200 m hoch, Astrantia helleborifolia, wenn nicht zur herrschenden, so doch zur vorwaltenden Bodenpflanze wird und dass auf weite Strecken hin Rhynchocorys Elephas und an feuchten Alectorolophus oder Fistularia Crista-galli (= Rhinanthus minor) zu den gemeinsten Arten gehören.

Wer dem südlichen Quellarm des Hippos bis zu seinem Beginne am Lapuri-Gletscher folgt, wird die Pracht dieser Wiesen, welche, ohne den Charakter der subalpinen-Triften anzunehmen, sich auf weite Strecken hin dehnen, bis zu 1500 m Meereshöhe bewundern können und dabei, schon nahe vom Lapuri, auf feuchten Gründen in jener riesig hohen, dichten Krautvegetation nur mit Mühe vorwärts kommen, welche durch Heracleum, Aconitum und Delphinium von 8—10 r. F. Höhe so gut charakterisiert ist und in welcher vereinzelte Weißbirken mit fußdicken Stämmen hervorragen [Anm.:1886 gab ich in dem deutsch und rassisch in Tiflis gedruckten Werke: »Berichte über die biologisch-geographischen Untersuchungen der Kaukasusländer« ausführliche Beschreibungen über die drei Längenhochthäler von Kolchis.]. Erst wenn man aus diesen herrlichen Einsamkeiten, die wohl kaum vor mir der Fuß eines Europäers betrat, rasch gegen Süden zum Nöschka-Passe ansteigt und dabei aus dem Gebiete der alpinen Triften in etwa 2600 m zwischen niedrigen strauchenden Weiden (S. arbuscula, S. apoda) und blühenden Rhododendron-Massiven (R. caucasicum) auch Ende Juni noch an der Nordseite die Schneefelder betritt — umfasst der Blick das majestätische Panorama der suanischen Hochalpen mit den zerstückelten Umrissen des 3050 m hohen Tschitcharo und den sanfter abgerundeten des Dadiasch von 2925 m Höhe im Vordergrund.

3. Talysh

Geographische Orientierung

Klima

Dünen- und Tieflandsflora

Die Morzi

Kleewiesen

Die Wälder des Tieflandes

Gebirgswälder

Die Hochebene von Ardebil

Schlussfolgerungen